Trauer um Gründungs- und Ehrenmitglied Professor Harald zur Hausen
07/06/2023
Die Gesellschaft für Virologie trauert um ihr Gründungs- und Ehrenmitglied, den Nobelpreisträger Herrn Professor Dr. med. Dr. h. c. mult. Harald zur Hausen. Er war ein Pionier auf dem Gebiet der krebsverursachenden Viren, entdeckte den Zusammenhang zwischen Infektionen mit humanen Papillomviren und Gebärmutterhalskrebs und legte damit die Grundlage für die Impfung gegen diese Erreger. Für seine bahnbrechenden Arbeiten erhielt er 2008 den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie.
Harald zur Hausen studierte Medizin in Bonn, Hamburg und zuletzt in Düsseldorf, wo er 1960 promoviert wurde. Nach der Medizinalassistentenzeit in Wimbern, Isny und seinem Geburtsort Gelsenkirchen, erlangte er 1962 die Approbation als Arzt und war anschließend bis 1966 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Universität Düsseldorf.
Bereits zu dieser Zeit fasziniert von der Möglichkeit einer infektiösen Ursache bestimmter Krebserkrankungen begann Harald zur Hausen 1966 einen Forschungsaufenthalt in der Division of Virology am Children’s Hospital of Philadelphia, im Labor von Gertrude und Werner Henle. Zu jener Zeit hatte das Forscherehepaar einen Zusammenhang zwischen dem Epstein-Barr Virus (EBV) und dem Burkitt Lymphom entdeckt, weshalb auch Harald zur Hausen sich während seines Aufenthalts im Henle Labor mit diesem Thema beschäftigte. Dabei lag sein besonderer Fokus in diesen und den folgenden Jahren auf dem molekularbiologischen Nachweis viraler Nukleinsäuren in den Tumorzellen, auch wenn diese keine Viren oder Virusproteine produzierten. Ihn interessierte besonders die Frage, wie Viren menschliche Chromosomen und Gene beeinflussen können, ein Thema, das ihn nicht wieder los ließ. Im Jahr 1968 wurde Harald zur Hausen an der University of Pennsylvania zum Assistant Professor of Virology berufen. Diese Position hielt er bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland 1969 inne, wo er sich dem virologischen Institut von Eberhard Wecker an der Julius-Maximilians- Universität Würzburg anschloss. Dort habilitierte er sich im Fach Virologie mit einer Reihe von Originalarbeiten, die sich vorranging mit dem möglichen Zusammenhang von Herpesviren sowie Adenoviren und bestimmten Tumoren des Menschen befassten. Dabei konnte er keine herpesvirale DNA in Gebärmutterhalstumoren nachweisen, obwohl damals die vorherrschende Meinung war, dass diese Viren im Zusammenhang mit der Entstehung dieser Tumorart stehen.
Im Jahr 1972 wurde Harald zur Hausen als Professor auf den neu gegründeten Lehrstuhl des Instituts für klinische Virologie der Universität Erlangen-Nürnberg berufen. Im Rahmen seiner Arbeiten an Genitalwarzen und Gebärmutterhalstumoren reiste er 1976 nach Kenia um dort Biopsien zu sammeln. Er veranlasste, die Biopsien einzeln zu analysieren und fand Hinweise, dass es unterschiedliche Papillomviren gibt. Bestimmte dieser Viren, so seine Vermutung, könnten im Zusammenhang mit Gebärmutterhalskrebs stehen, eine Hypothese, die zu dieser Zeit weitgehend abgelehnt und zum Teil diskreditiert wurde. 1977 wurde Harald zur Hausen auf den Lehrstuhl für Virologie und Hygiene des Zentrums für Hygiene an der Universität Freiburg berufen, wo er mit seiner Arbeitsgruppe in den folgenden Jahren den kausalen Zusammenhang zwischen bestimmten Papillomviren und genitalen Tumoren bestätigte; in dieser Zeit wurden dort die Typen 16 und 18 identifiziert und charakterisiert, die für >70% der Fälle von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich sind. Damit war die Grundlage für die Entwicklung entsprechender Impfstoffe gelegt.
Von 1983 bis 2003 war Harald zur Hausen Vorsitzender und wissenschaftliches Mitglied des Stiftungsvorstandes des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg. Dort fand er eine schwierige Lage vor, nachdem eine Begutachtung eine ungenügende wissenschaftliche Aufstellung insbesondere im internationalen Wettbewerb angemahnt hatte. Er besuchte und begutachtete die Gruppen am DKFZ persönlich und verschaffte sich so ein Bild der Lage; in der Folge kam es auf der Grundlage wissenschaftlicher Evaluierungen zu einer deutlichen strukturellen und inhaltlichen Veränderung und Neuorientierung, die das DKFZ in die erste Liga entsprechender Forschungsinstitute brachte. Dies betraf auch die Förderung der frühen Unabhängigkeit junger WissenschaftlerInnen, von denen viele in der Folge führende Positionen in anderen Forschungseinrichtungen übernommen haben. Seine Überzeugung, dass Grundlagenforschung eine wichtige Voraussetzung für medizinischen Fortschritt sei, prägte die zukünftige Ausrichtung des DKFZ in hohem Maße. Diese Überzeugung verband er mit dem zentralen Anliegen, die Ergebnisse der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung zu überführen. In Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Heidelberg führte dies zur Einrichtung klinischer Kooperationseinheiten und letztlich zur Gründung des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen in Heidelberg. Dabei behielt Harald zur Hausen sein Interesse an der experimentellen Arbeit und besuchte fast täglich sein Labor, um die allerneuesten Ergebnisse zu besprechen. Im Laufe der Zeit wurde unter der Leitung von Harald zur Hausen der Forschungsschwerpunkt „Angewandte Tumorvirologie“ (heutige Bezeichnung ‚Infektion, Entzündung & Krebs‘) konsequent aufgebaut, um damit das Thema humane Papillomviren und Krebs in allen Facetten untersuchen zu können. Man kann ohne Übertreibung behaupten, dass Harald zur Hausen in seiner 20-jährigen Zeit als Vorsitzender des DKFZ Stiftungsvorstandes diese Institution zu einer international führenden Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der Krebsforschung gemacht hat.
Nach seiner Emeritierung im Jahr 2003, erhielt Harald zur Hausen 2008 den Nobelpreis für Medizin “for his discovery of human papilloma viruses causing cervical cancer“, so die offizielle Begründung des Nobelkomitees in Stockholm. Daneben erhielt er eine große Zahl an weiteren hoch-angesehenen Preisen und Auszeichnungen, darunter der Robert Koch-Preis (1975), der Deutsche Krebspreis (1986), der Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Preis (1994), der Ernst Jung-Preis und die Jacob-Henle-Medaille (1996), der Prinz-Mahidol-Preis (2005), die Loeffler-Frosch-Medaille der Gesellschaft für Virologie (2007), die Johann-Georg-Zimmermann-Medaille (2007) und der Gairdner Foundation International Award (2008). Außerdem erhielt er für seine zahlreichen Verdienste das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, das ihm 2009 vom damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler überreicht wurde. Des Weiteren war Harald zur Hausen Träger von mehr als 30 Ehrendoktorwürden und Ehrenprofessuren.
Harald zur Hausen gilt zu Recht als ein Pionier auf dem Gebiet krebsverursachender Viren. Er hat dieses Thema mit seinen Arbeiten maßgeblich geprägt und mit großer Energie und entgegen vieler Widerstände seine These über den Zusammenhang zwischen humanen Papillomviren und Gebärmutterhalskrebs verteidigt und letztlich bewiesen. Diese Beharrlichkeit wird häufig als „westfälische Sturheit“ beschrieben und sie war sicherlich ein entscheidender Faktor für den Erfolg seiner Arbeiten. Seine Vermutung ist inzwischen von zahlreichen anderen Arbeitsgruppen belegt. Niemand zweifelt mehr daran und seine Erkenntnisse fanden Eingang in die Lehrbücher. Harald zur Hausen hat mit seinen Arbeiten die Grundlage für die Entwicklung eines Impfstoffs zur Verhinderung der Infektion mit den maßgeblichen onkogenen Papillomviren gelegt. Dank seiner Beharrlichkeit wurden 2006 zwei solche Impfstoffe für die klinische Anwendung zugelassen; deren Wirksamkeit zur Verhinderung von Gebärmutterhalskrebs ist zwischenzeitlich klar belegt. Dies kann ohne Zweifel als ein Meilenstein in der Krebsprävention betrachtet werden. Damit hat Harald zur Hausen nicht nur bahnbrechende Grundlagenforschung geleistet, sondern diese mit Konsequenz in die klinische Anwendung gebracht.
Als Mensch wurde an Harald zur Hausen seine freundlich-zurückhaltende und sachliche Art sehr geschätzt. Für angehende WissenschaftlerInnen hatte er immer einen guten Rat. Einer davon ist uns noch besonders in Erinnerung: „Man soll immer davon ausgehen, dass die meisten Hypothesen, die man aufstellt, falsch sind und entweder korrigiert oder verworfen werden müssen.“ Das erfordert eine gewisse Frustrationstoleranz, die aber zum Dasein als WissenschaftlerIn gehört. Es ist aber auch ein Lernprozess, denn die Annahme, dass wissenschaftliche Aussagen auch in wissenschaftlichen Publikationen unumstößlich sind, ist nicht richtig. Wissenschaft hat eine hohe Dynamik, eine Erkenntnis, die viele von uns und in der Bevölkerung insbesondere während der Pandemie erst lernen mussten. Leider wird uns Harald zur Hausen mit seinen wichtigen Ratschlägen nicht mehr zur Seite stehen. Wir werden ihn schmerzlich vermissen und in bleibender Erinnerung behalten.
Ralf Bartenschlager und Hans-Georg Kräusslich
In Würdigung seines Lebens und seiner wissenschaftlichen Leistungen möchten wir Sie auf das Interview der jungen GfV mit Prof. Harald zur Hausen hinweisen, welches im April 2022 im Newsletter der jGfV erschienen ist.