Stellungnahme zu möglichen Infektionen bei SARS-CoV2-Geimpften und zur Immunität von Genesenen

25/05/2021

Die rasche Ausbreitung neuer SARS-CoV-2 Varianten in England (B1.1.7 oder variant of concern (VOC) 202012/01) und Südafrika (B.1.351, auch bekannt als 501.V2 Variante), die sich hinsichtlich ihres Genoms deutlich von bisher zirkulierenden Varianten unterscheiden, wirft die Frage auf, ob diese Varianten auch in Deutschland verbreitet sind.

In der Variante B1.1.7 finden sich 8 Mutationen, die zu Aminosäureaustauschen im Spikeprotein (S) von SARS-CoV-2 führen, die möglicherweise eine Veränderung der biologischen Eigenschaften von S mit sich bringen. Ein wichtiger Aminosäureaustausch findet sich im Rezeptorbindemotiv[1] von S an Position 501 (N501Y). Diese Mutation könnte alleine oder in Kombination mit anderen Mutationen zu einer erhöhten Bindefähigkeit an den humanen Rezeptor ACE-2 führen[2]. Für eine weitere Mutation, eine Deletion, die zum Verlust der Aminosäuren an den Positionen 69 und 70 führt, wurde in einer Vorveröffentlichung eine Erhöhung der Infektiosität des Virus in Zellkulturen gezeigt[3].

Die Variante B.1.351, die in Südafrika nachgewiesen wurde, enthält ebenfalls 8 Mutationen, die zu Aminosäureaustauschen in S von SARS-CoV-2 führen. Zwei dieser Mutationen befinden sich im Rezeptorbindemotiv (E484K und N501Y)[4]. Erste Studien legen nahe, dass diese Mutationen nur einen sehr geringen Effekt auf die Neutralisation durch Antikörper, die in Folge einer Impfung mit einer mRNA Vakzine entstehen, haben. Allerdings scheinen diese Mutationen die Bindung von einigen Antikörpern, die für die Therapie entwickelt werden, zu beeinträchtigen[5],[6].

Das Konsiliarlabor für Coronaviren hat gegenwärtig 1126 Genomsequenzen von SARS-CoV-2 aus allen Teilen Deutschlands analysiert[7]. Es wurden mittlerweile sowohl die Variante B1.1.7 als auch die Variante B1.351 gefunden. Allerdings kann über die mögliche Verbreitung dieser Varianten in Deutschland bisher nichts gesagt werden.

Die Sequenzierung gesamter Virusgenome und die bioinformatische Auswertung sind zeitaufwendige Prozesse, für die spezifische Infrastrukturen erforderlich sind, die aber nicht überall vorhanden sind. Deshalb werden aktuelle Geschehnisse nur unzureichend erfasst. Eine Alternative stellen PCR-Verfahren zum gezielten Nachweis der neuen SARS-CoV-2 Varianten dar, um die Verbreitung bzw. Ausbreitung dieser Varianten durch die Testung großer Probenzahlen effizient erfassen zu können. Daneben gibt es intensive Bestrebungen, die Rahmenbedingungen für die Virusgenomsequenzierung und damit die molekulare Surveillance für SARS-CoV-2 in Deutschland zu verbessern.

Nach einer vorläufigen Risikoeinschätzung des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC), basierend auf mathematischer Modellierung[8], weist die neue Variante B1.1.7 möglicherweise eine bis zu 56% höhere Übertragungsrate auf als bisher zirkulierende SARS-CoV-2 Varianten[9]. Eine Studie aus Großbritannien, die noch keiner Fachbegutachtung unterzogen wurde, weist ebenfalls auf eine höhere Infektionsrate der SARS-CoV-2 Variante B1.1.7 hin[10]. Diese Einschätzung muss jedoch in weiteren Untersuchungen überprüft werden. Die GfV weist ferner darauf hin, dass eine raschere Ausbreitung des SARS-CoV-2 nicht notwendigerweise mit schwereren Krankheitsverläufen einhergehen muss. Sie macht aber nochmals deutlich, dass die Einhaltung von Hygienemaßnahmen und Kontaktverringerung dringlich geboten ist. Gleichzeitig zeigt das Auftreten von Virusvarianten, dass die Bemühungen um eine systematische molekulare Surveillance in Deutschland dringend verstärkt werden sollten.

Mutationen in SARS-CoV-2 können im Prinzip sowohl Folgen für die Wirksamkeit von Impfstoffen, als auch für die Therapie mit Antikörpern haben. Eine erste Studie hat gezeigt, dass Seren von 20 Teilnehmern der bereits veröffentlichten Phase-3-Studie des BioNTech/Pfizer Impfstoffs BNT162b2 (Comirnaty) einen SARS-CoV-2 Virus mit einer Mutation an Position 501 (eine Schlüsselmutation der B1.1.7 Variante) im gleichen Ausmaß wie das Virus ohne diese Mutation neutralisierten. Zu möglichen Effekten von Kombinationen von Mutationen, wie sie in den o.g. Varianten gefunden wurden, gibt es bisher nur sehr vorläufige Untersuchungen. Einer noch nicht begutachteten Veröffentlichung zufolge könnten die Mutationen in der B.1.351 Variante aus Südafrika die Wirksamkeit neutralisierender Antikörper im Serum von Personen, die zuvor eine Infektion mit dem ursprünglichen SARS-CoV-2 durchgemacht haben deutlichen mindern[11]. Das könnte bedeuten, dass diese Personen ein Risiko für eine Re-Infektion mit der Südafrika Variante haben. Außerdem liefert diese Studie vorläufige Evidenz dafür, dass diese Mutationen die Wirksamkeit therapeutischer S-spezifischer Antikörper zum Teil deutlich reduzieren. Diese Beobachtungen müssen jedoch als vorläufig bewertet und in weiterführenden Studien bestätigt werden. Sie machen jedoch die Dynamik von SARS-CoV-2 und damit die Notwendigkeit der schnellen Kontrolle der Pandemie sehr deutlich, um das Risiko für die Entstehung weiterer Varianten möglichst gering zu halten.
Schlussfolgerungen:

– Die eingesetzten Impfstoffe gegen SARS-CoV2 führen zum Schutz vor symptomatischen bzw. schweren Krankheitsverläufen. Sowohl für Geimpfte als auch für Genesene besteht ein Restrisiko für symptomlose Infektionen und für die Weitergabe von SARS-CoV2. Bis belastbarere Daten zur Höhe dieses Risikos, insbesondere im zeitlichen Verlauf, vorliegen, sollten die geltenden Hygienemaßnahmen (Maskenpflicht und Abstandsregeln) auch für Geimpfte und Genesene beibehalten werden. Dies gilt insbesondere in Gebieten mit hohen Inzidenzwerten.

– Genesene entwickeln ein immunologisches Gedächtnis, und der Schutz vor Neuinfektionen ist gut dokumentiert. Bei einer pauschalen Gleichsetzung Geimpfter mit Genesenen müssen die zeitlichen Verläufe der protektiven Immunantwort sowohl nach Impfung als auch nach Infektion bewertet werden. Dies darf sich nicht nur auf die Messung zirkulierender Antikörper beschränken, sondern muss die Analyse des immunologischen Gedächtnis sowie a priori geplantes Monitoring von Infektionen beinhalten.

– Wir halten die Empfehlung der STIKO für sinnvoll, nach der sich auch Genesene einmalig gegen SARS-CoV2 impfen lassen sollten. Denn dies führt zu einer signifikanten Verstärkung der Immunität, welche gegen die VOC besonders wirksam ist. Insbesondere werden Ältere dann besser geschützt, die durch Immunseneszenz nur eine schwächere Immunantwort aufbauen können.

– Langzeitstudien zum Verlauf der Immunantwort nach Impfung und Infektion sind notwendig. Dadurch kann die Bedeutung der VOC eingeschätzt, und mögliche Maßnahmen wie z.B. Auffrisch-Impfungen können evaluiert werden.

Der Vorstand der Gesellschaft für Virologie

Prof. Dr. Ralf Bartenschlager, Universitätsklinikum Heidelberg

Prof. Dr. Thomas Stamminger, Universitätsklinikum Ulm

Prof. Dr. Ulf Dittmer, Universitätsklinikum Essen

Prof. Dr. Sandra Ciesek, Universitätsklinikum Frankfurt

Prof. Dr. Klaus Überla, Universitätsklinikum Erlangen

 

Unter Beteiligung von:

PD Dr. Sebastian Ulbert

Abteilungsleiter Impfstoffe und Infektionsmodelle

Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie

Perlickstr. 1, 04103 Leipzig

Quellen

[1] Polack et al., DOI: 10.1056/NEJMoa2034577

[2] Voysey et al., https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)32661-1

[3] Dagan et al., DOI: 10.1056/NEJMoa2101765

[4] Vasileiou doi: 10.1016/S0140-6736(21)00677-2

[5] Hall et al., doi: 10.1016/S0140-6736(21)00790-X

[6] Haas E et al, https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)00947-8

[7] Amit S et al., doi: 10.1016/S0140-6736(21)00448-7

[8] Dan et al., doi: 10.1126/science.abf4063

[9] Rockstroh et al., doi: 10.1080/22221751.2021.1913973

[10] Gao et al., https://doi.org/10.1038/s41392-021-00525-3

[11] Sherina et al., doi: 10.1016/j.medj.2021.02.001

[12] Sokal et al.,doi: 10.1016/j.cell.2021.01.050

[13] Reynolds et al., doi: 10.1126/science.abh1282 (2021)

[14] Stamatatos et al., doi 10.1126/science.abg9175 (2021)

[15] Hansen et al.,doi: 10.1016/S0140-6736(21)00575-4