3. Aktualisierte Stellungnahme zur Immunität von Genesenen

14/02/2022

Das gemeinsame Antigen, mit dem eine Person sowohl bei einer SARS-CoV-2 Infektion, als auch bei einer Impfung in Kontakt kommt, ist das SARS-CoV-2 Oberflächenprotein S (auch als Spike-Protein bezeichnet). Antikörper gegen das Spike-Protein binden an das Virus und können das Anheften des Virus an die Zelle verhindern. Deshalb sind diese neutralisierenden Antikörper der am häufigste gemessene Indikator für einen Schutz vor Infektion. Die SARS-CoV-2 Variante Omikron hat zahlreiche Veränderungen (Mutationen) im Spike-Protein, so dass sie in der Lage ist, der Antikörperantwort von Genesenen und Geimpften zumindest teilweise zu entkommen. Man spricht hier von einer Immunflucht.

Um einen guten Schutz vor Infektion mit dieser Variante zu haben, bedarf es eines ausreichend hohen Spiegels an neutralisierenden Antikörpern. Gegen SARS-CoV-2 gerichtete Antikörper werden nach Impfung bzw. Genesung in unterschiedlicher Qualität und Menge gebildet, die jedoch über die Zeit wieder abnimmt. Die Effektivität von neutralisierenden Antikörpern wird im Labor in spezifischen Neutralisationsversuchen gemessen. In verschiedenen Veröffentlichungen wurde gezeigt, dass das Serum von Personen, die nicht geimpft sind und eine Infektion mit SARS-CoV-2 (nicht Omikron) durchlaufen haben, eine niedrige, mitunter nicht mehr nachweisbare neutralisierende Aktivität gegen die Omikronvariante aufweist (z.B. Rössler et al., 2022[1]; Planas et al., 2021[2]; Hoffmann et al., 2022[3]; Carreño et al., 2021[4]). Seren von Personen, die eine Kombination aus Infektion und Impfung durchlaufen haben, oder von geimpften Personen, die eine Auffrischungsimpfung erhalten haben, weisen eine bessere neutralisierende Antikörperantwort gegen die Omikronvariante auf (z.B. Rössler et al., 2022[1]; Planas et al., 2021[2]; Hoffmann et al., 2022[3]; Carreño et al., 2021[4]).

Neben Antikörpern spielt bei der Abwehr der SARS-CoV-2 Infektion auch die zelluläre Immunität eine Rolle (u.a. Moderbacher et al., 2020[5]; Tan et al., 2021[6]). Wichtig dabei sind sogenannte T-Zellen, die virusinfizierte Zellen erkennen und zerstören. Der Schutz vor schweren COVID-19 Verläufen hängt deshalb nicht ausschließlich von neutralisierenden Antikörpern ab, sondern auch von der Fähigkeit der T-Zellen, infizierte Zellen im Körper zu erkennen und abzutöten. Hier gibt es erste Publikationen, die darauf hindeuten, dass im Gegensatz zur Antikörperantwort die T-Zell Antwort bei Genesenen wie auch bei vollständig Geimpften bei einer Infektion mit der Omikronvariante weiterhin wirksam ist (u.a. Keeton et al., 2022[7]; Gao et al., 2022[8]; GeurtsvanKessel et al., 2022[9]). Das liegt daran, dass die Angriffsziele, die von den T-Zellen erkannt werden, bei den SARS-CoV-2 Varianten wenig verändert sind. Es ist davon auszugehen, dass diese T-Zellantworten einen guten Schutz gegen schwere COVID-19 Verläufe nach Infektion mit der Omikronvariante vermitteln können, allerdings liegen hierzu bisher keine Daten vor. Vor einer Infektion mit der Omikronvariante können sie dagegen aufgrund der Wirkweise von T-Zellen in der Regel nicht schützen.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat auf seiner Homepage am 15.01.2022 mitgeteilt, dass die Dauer des Genesenenstatus von 6 Monaten auf künftig 90 Tage reduziert wird. Auf der Homepage des RKI wird in einer aktualisierten Version[10] auf folgendes verwiesen: „Diese fachlichen Vorgaben für den Genesenennachweis beziehen sich ausschließlich auf Personen, die ungeimpft sind, d.h. weder vor, noch nach ihrer durchgemachten Infektion eine Impfung erhalten haben.“ Außerdem wird darauf hingewiesen, dass sich diese Vorgaben gemäß dem Stand der Wissenschaft ändern können.

Allerdings wurde bei der Umsetzung dieser Regeländerung in der Folge oftmals nicht zwischen Genesenen ohne oder mit Impfung unterschieden. Nach Ansicht der Gesellschaft für Virologie muss aber klar unterschieden werden zwischen:

1. Genesenen ohne COVID-19 Impfanamnese

Hierbei handelt es sich um Genesene, die zu keinem Zeitpunkt eine Impfung erhalten haben.

2. Genesenen mit COVID-19 Impfanamnese

Hierbei handelt es sich um Genesene, bei denen eine COVID-19 Impfanamnese in verschiedenen Kombinationen zusätzlich zur Infektion vorliegt.

Neuste Publikationen (Wratil et al., 2022[11]; Walls et al., 2022[12]; Gruell et al., 2022[13]) zeigen, dass sich aufgrund des Booster-Effektes SARS-CoV-2 spezifische Antikörper mit hoher Neutralisationsfähigkeit und in ausreichender Menge nach mehreren Antigenkontakten über die Zeit entwickeln. Dabei ist die Anzahl der Antigenkontakte entscheidend, wobei als Antigenkontakt entweder eine einmalige Impfung (also eine Impfdosis) oder eine Infektion gilt. So hat beispielsweise eine vollständige geimpfte Person (d.h. nach zwei Impfdosen), die zusätzlich eine Infektion durchgemacht hat, insgesamt drei Antigenkontakte. Die Studien zeigen, dass sich nach drei Antigenkontakten qualitativ hochwertige Antikörper gegen das SARS-CoV-2 Virus entwickeln, die auch in der Lage sind, die Omikronvariante zumindest teilweise zu neutralisieren. Dies ist unabhängig von den unterschiedlichen Konstellationen der Antigenkontakte, also unabhängig davon, ob eine Person 3-fach geimpft, 2-fach geimpft und genesen oder genesen und 2-fach geimpft ist.

Allerdings muss zwischen zwei Antigenkontakten jeweils ein Zeitabstand von mehreren Wochen liegen. So zeigen Genesene, die zwei Impfungen im Abstand von nur 3 Wochen erhalten, durch die zweite Impfung keine Steigerung der Antikörperantwort im Vergleich zur ersten Impfung (Wratil et al., 2022[11]). Aktuell kann keine Aussage darüber getroffen werden, wie lange ein Schutz mehrfach Infizierter ohne Impfung besteht. Außerdem ist aktuell unklar, wie lange und in welchem Umfang der Schutz bei Genesenen mit nur einer Impfung (2 Antigenkontakte) besteht.

Für andere denkbare Kombinationen der Zusammensetzung der 3 Antigenkontakte liegen ebenfalls keine Daten vor. Es ist allerdings davon auszugehen, dass auch in diesen Fällen qualitativ hochwertige Antikörper gegen das SARS-CoV-2 entwickelt werden. Die vorliegenden Daten zeigen aber, dass Genesene (nicht Omikron) ohne vorherige oder nachfolgende Impfung eine nur niedrige, mitunter nicht mehr nachweisbare Antikörperantwort gegen die Omikronvariante entwickeln (z.B. Rössler et al., 2022; Planas et al., 2021; Hoffmann et al., 2022; Carreño et al., 2021)[1-4] und auch der Schutz vor Infektion mit der Omikronvariante deutlich reduziert ist im Vergleich zur Infektion mit der Deltavariante (Andeweg et al., 2022[14]). Aus diesem Grund ist für diese Personen mindestens eine Auffrischimpfung zu empfehlen.

Unter Berücksichtigung dieser Datenlage (Stand 10.02.2022) schlägt die Gesellschaft für Virologie vor, deutschlandweit eine pragmatische Regelung anzuwenden, die Personen mit drei Antigenkontakten, unabhängig von der Art der Antigenkontakte (Impfung oder Infektion), gleichsetzt. Dies wird bereits in einigen Bundesländern so gehandhabt, z.B. in Hamburg[15] und Bayern[16], wo dieser Personenkreis (3 Antigenkontakte) bei der Anwendung der 2Gplus-Regel weitgehend von einem Testnachweis befreit ist. Aus diesem Vorgehen ergibt sich, dass Personen, die nur genesen oder nur 2-fach geimpft sind nicht Personen mit drei Antigenkontakten gleichgestellt werden können.

Sollte sich die Datenlage ändern und neue Informationen hinzukommen, wovon auszugehen ist, wird diese Stellungnahme erneut angepasst werden.

Der Vorstand der Gesellschaft für Virologie

Prof. Dr. Ralf Bartenschlager, Universitätsklinikum Heidelberg

Prof. Dr. Thomas Stamminger, Universitätsklinikum Ulm

Prof. Dr. Ulf Dittmer, Universitätsklinikum Essen

Prof. Dr. Sandra Ciesek, Universitätsklinikum Frankfurt

Prof. Dr. Klaus Überla, Universitätsklinikum Erlangen

 

Unter Beteiligung von

Prof. Dr. Hartmut Hengel, Universitätsklinikum Freiburg

PD Dr. Hanna-Mari Baldauf, LMU München

[1] Rössler A, Riepler L, Bante D, von Laer D, Kimpel J. SARS-CoV-2 Omicron Variant Neutralization in Serum from Vaccinated and Convalescent Persons. N Engl J Med. 2022 Jan 12:NEJMc2119236. doi: 10.1056/NEJMc2119236. Epub ahead of print. PMID: 35021005; PMCID: PMC8781314.

[2] Planas D, Saunders N, Maes P, Guivel-Benhassine F, Planchais C, Buchrieser J, Bolland WH, Porrot F, Staropoli I, Lemoine F, Péré H, Veyer D, Puech J, Rodary J, Baele G, Dellicour S, Raymenants J, Gorissen S, Geenen C, Vanmechelen B, Wawina-Bokalanga T, Martí-Carreras J, Cuypers L, Sève A, Hocqueloux L, Prazuck T, Rey F, Simon-Loriere E, Bruel T, Mouquet H, André E, Schwartz O. Considerable escape of SARS-CoV-2 Omicron to antibody neutralization. Nature. 2021 Dec 23. doi: 10.1038/s41586-021-04389-z. Epub ahead of print. PMID: 35016199.

[3] Hoffmann M, Krüger N, Schulz S, Cossmann A, Rocha C, Kempf A, Nehlmeier I, Graichen L, Moldenhauer AS, Winkler MS, Lier M, Dopfer-Jablonka A, Jäck HM, Behrens GMN, Pöhlmann S. The Omicron variant is highly resistant against antibody-mediated neutralization: Implications for control of the COVID-19 pandemic. Cell. 2022 Feb 3;185(3):447-456.e11. doi: 10.1016/j.cell.2021.12.032. Epub 2021 Dec 24. PMID: 35026151; PMCID: PMC8702401.

[4] Carreño JM, Alshammary H, Tcheou J, Singh G, Raskin A, Kawabata H, Sominsky L, Clark J, Adelsberg DC, Bielak D, Gonzalez-Reiche AS, Dambrauskas N, Vigdorovich V; PSP/PARIS Study Group, Srivastava K, Sather DN, Sordillo EM, Bajic G, van Bakel H, Simon V, Krammer F. Activity of convalescent and vaccine serum against SARS-CoV-2 Omicron. Nature. 2021 Dec 31. doi: 10.1038/s41586-022-04399-5. Epub ahead of print. PMID: 35016197.

[5] Rydyznski Moderbacher C, Ramirez SI, Dan JM, Grifoni A, Hastie KM, Weiskopf D, Belanger S, Abbott RK, Kim C, Choi J, Kato Y, Crotty EG, Kim C, Rawlings SA, Mateus J, Tse LPV, Frazier A, Baric R, Peters B, Greenbaum J, Ollmann Saphire E, Smith DM, Sette A, Crotty S. Antigen-Specific Adaptive Immunity to SARS-CoV-2 in Acute COVID-19 and Associations with Age and Disease Severity. Cell. 2020 Nov 12;183(4):996-1012.e19. doi: 10.1016/j.cell.2020.09.038. Epub 2020 Sep 16. PMID: 33010815; PMCID: PMC7494270.

[6] Tan AT, Linster M, Tan CW, Le Bert N, Chia WN, Kunasegaran K, Zhuang Y, Tham CYL, Chia A, Smith GJD, Young B, Kalimuddin S, Low JGH, Lye D, Wang LF, Bertoletti A. Early induction of functional SARS-CoV-2-specific T cells associates with rapid viral clearance and mild disease in COVID-19 patients. Cell Rep. 2021 Feb 9;34(6):108728. doi: 10.1016/j.celrep.2021.108728. Epub 2021 Jan 21. PMID: 33516277

[7] Keeton R, Tincho MB, Ngomti A, Baguma R, Benede N, Suzuki A, Khan K, Cele S, Bernstein M, Karim F, Madzorera SV, Moyo-Gwete T, Mennen M, Skelem S, Adriaanse M, Mutithu D, Aremu O, Stek C, du Bruyn E, Van Der Mescht MA, de Beer Z, de Villiers TR, Bodenstein A, van den Berg G, Mendes A, Strydom A, Venter M, Giandhari J, Naidoo Y, Pillay S, Tegally H, Grifoni A, Weiskopf D, Sette A, Wilkinson RJ, de Oliveira T, Bekker LG, Gray G, Ueckermann V, Rossouw T, Boswell MT, Bihman J, Moore PL, Sigal A, Ntusi NAB, Burgers WA, Riou C. T cell responses to SARS-CoV-2 spike cross-recognize Omicron. Nature. 2022 Jan 31. doi: 10.1038/s41586-022-04460-3. Epub ahead of print. PMID: 35102311.

[8] Gao Y, Cai C, Grifoni A, Müller TR, Niessl J, Olofsson A, Humbert M, Hansson L, Österborg A, Bergman P, Chen P, Olsson A, Sandberg JK, Weiskopf D, Price DA, Ljunggren HG, Karlsson AC, Sette A, Aleman S, Buggert M. Ancestral SARS-CoV-2-specific T cells cross-recognize the Omicron variant. Nat Med. 2022 Jan 14. doi: 10.1038/s41591-022-01700-x. Epub ahead of print. PMID: 35042228.

[9] GeurtsvanKessel CH, Geers D, Schmitz KS, Mykytyn AZ, Lamers MM, Bogers S, Scherbeijn S, Gommers L, Sablerolles RSG, Nieuwkoop NN, Rijsbergen LC, van Dijk LLA, de Wilde J, Alblas K, Breugem TI, Rijnders BJA, de Jager H, Weiskopf D, van der Kuy PHM, Sette A, Koopmans MPG, Grifoni A, Haagmans BL, de Vries RD. Divergent SARS CoV-2 Omicron-reactive T- and B cell responses in COVID-19 vaccine recipients. Sci Immunol. 2022 Feb 3:eabo2202. doi: 10.1126/sciimmunol.abo2202. Epub ahead of print. PMID: 35113647.

[10] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Genesenennachweis.html (Stand 08.02.2022)

[11] Wratil PR, Stern M, Priller A, Willmann A, Almanzar G, Vogel E, Feuerherd M, Cheng CC, Yazici S, Christa C, Jeske S, Lupoli G, Vogt T, Albanese M, Mejías-Pérez E, Bauernfried S, Graf N, Mijocevic H, Vu M, Tinnefeld K, Wettengel J, Hoffmann D, Muenchhoff M, Daechert C, Mairhofer H, Krebs S, Fingerle V, Graf A, Steininger P, Blum H, Hornung V, Liebl B, Überla K, Prelog M, Knolle P, Keppler OT, Protzer U. Three exposures to the spike protein of SARS-CoV-2 by either infection or vaccination elicit superior neutralizing immunity to all variants of concern. Nat Med. 2022 Jan 28. doi: 10.1038/s41591-022-01715-4. Epub ahead of print. PMID: 35090165.

[12] Walls AC, Sprouse KR, Bowen JE, Joshi A, Franko N, Navarro MJ, Stewart C, Cameroni E, McCallum M, Goecker EA, Degli-Angeli EJ, Logue J, Greninger A, Corti D, Chu HY, Veesler D. SARS-CoV-2 breakthrough infections elicit potent, broad, and durable neutralizing antibody responses. Cell. 2022 Jan 20:S0092-8674(22)00069-1. doi: 10.1016/j.cell.2022.01.011. Epub ahead of print. PMID: 35123650.

[13] Gruell H, Vanshylla K, Tober-Lau P, Hillus D, Schommers P, Lehmann C, Kurth F, Sander LE, Klein F. mRNA booster immunization elicits potent neutralizing serum activity against the SARS-CoV-2 Omicron variant. Nat Med. 2022 Jan 19:1–4. doi: 10.1038/s41591-021-01676-0. Epub ahead of print. PMID: 35046572; PMCID: PMC8767537.

[14] AndewegSP, de Gier B, Eggink D, van den Ende D, van Maarseveen N, Ali L, Vlaemynck B, Schepers R, RIVM COVID-19 surveillance and epidemiology team, Hahné SJM, Reusken C, de Melker fHE, van den Hof S, Knol MJ. Protection of COVID-19 vaccination and previous infection against Omicron BA.1 and Delta SARS-CoV-2 infections, the Netherlands, 22 November 2021- 19 January 2022. https://doi.org/10.1101/2022.02.06.22270457doi: medRxiv preprint

[15] https://www.hamburg.de/corona-schutzimpfung/15781988/quarantae-isolation-test (Stand 12.02.2022)

[16] https://www.buergerbeauftragter.bayern/corona-aktuell (Stand 09.02.2022)