Stellungnahme der Gemeinsamen Diagnostikkommission der DVV und GfV zum geplanten Apothekenreformgesetz (ApoRG)

23/07/2024

Stellungnahme der gemeinsamen Diagnostikkommission der Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) und der Gesellschaft für Virologie (GfV) zum geplanten Apothekenreformgesetz (ApoRG)

-Anwendung von patientennahen In-vitro-diagnostischen Schnelltests-

Hintergrund: Am 25. Juni 2024 hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zu einer mündlichen Anhörung des Referentenentwurfes des Apothekenreformgesetzes (ApoRG) eingeladen. Beteiligte Verbände können bis zum 28. Juni eine Stellungnahme abgegeben.

Ein wichtiger Punkt des Entwurfes berührt die Anwendung von patientennahen In-vitro-diagnostischen (IVD) Schnelltests zum Nachweis von meldepflichtigen Erregern wie Adenovirus, Influenzavirus, Norovirus, Respiratorisches Synzytialvirus (RSV) und Rotavirus in Apotheken. Es bleibt in dem Entwurf unklar, ob es sich um Antigen-Schnellteste handelt oder um molekulare Point-of-Care Nachweisverfahren.

Zudem wird Apotheken die Möglichkeit der Durchführung von Impfungen (mit Totimpfstoffen) bei über 18-jährigen zugesprochen.

Zum Referentenentwurf nimmt die Gemeinsame Diagnostikkommission der Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) und der Gesellschaft für Virologie (GfV) Stellung. Aus Sicht der virologischen Fachgesellschaften sind folgende Gründe der geplanten Ausweitung von patientennahen IVD Schnelltests kritisch zu bewerten und in dieser Form deutlich abzulehnen:

Qualitätsmanagement und Richtlinie der Bundesärztekammer: Medizinische Laboratorien müssen ein etabliertes Qualitätsmanagement-System vorhalten und die Richtlinie der Bundesärztekammer (RiliBÄK 2023) beachten. Zentrale Bestandteile sind u. a die interne und externe Qualitätssicherung (Ringversuche). Derzeit ist eine Ringversuchspflicht für den Nachweis von Influenza- und RSV-Antigen, nicht aber für Adenovirus-, Norovirus- und Rotavirus-Antigen in der RiliBÄK hinterlegt. Eine Ausweitung der RiliBÄK-pflichtigen Erregernachweise scheint bei zunehmender Verwendung dieser Verfahren aber geboten. Auch die Dokumentation inkl. vorgeschriebener Aufbewahrungsfrist und die Übermittlung der Befunde zwischen Laboratorien und den einsendenden Arztpraxen ist etabliert und erfolgt vorwiegend elektronisch. Hier besteht u.a. ein erhebliches Schnittstellenproblem mit unabsehbaren Risiken bzgl. der Dokumentation und Befundübermittlung von Apotheken an die ärztliche Versorgung. Auch betroffen ist die Auswahl der verwendeten Teste (wer wählt die Teste aus und verifiziert diese) und die kontinuierliche Überwachung deren Leistungsfähigkeit (Chargentestung). Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Anforderungen der „In Vitro Diagnostic Regulation 2017/746“ (IVDR) erfüllt werden müssen. Die derzeit verfügbaren Schnellteste sind noch nach der vorhergehenden „In Vitro Diagnostic Directive“ übergangsweise zugelassen (Übergangsfrist) und eine Umstellung auf die IVDR ist in vielen Fällen nicht kommuniziert.

Infektions-/Arbeitsschutz, Biostoffverordnung: Die Anwendung von Erreger-spezifischen Nachweisverfahren unterliegen diversen gesetzlichen Anforderungen wie der Biostoffverordnung (BioStoffV), die die Entsorgung und den Umgang mit infektiösen Restmüll regelt, der Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) 100 („Schutzmaßnahmen für Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen in Laboratorien“) und ggf. TRBA 250 (Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege) sowie den Arbeitsschutz (ArbStättV) betreffen. Apotheken sind infrastrukturell von ihrer Ausstattung nicht für den Umgang mit Infektionserregern ausgestattet und das Personal wird in der Regel nicht über eine Erlaubnis zum Arbeiten mit Krankheitserregern nach §44 Infektionsschutzgesetz (IfSG) verfügen. Einige der o.g. Erreger verfügen über strukturell-bedingte Eigenschaften, die spezielle Schutz-, Dekontaminations- und Desinfektionsverfahren erfordern (Adenovirus, Norovirus). Aus Gründen der Infektionsprävention ist es schwer vorstellbar, dass akut erkrankte Patienten mit Durchfallerkrankung oder Atemwegserkrankungen Apotheken besuchen und bis zum Erhalt des Ergebnisses dort verweilen.

Meldepflicht: Es handelt sich nach §7 IfSG um meldepflichtige Erreger, die Meldung erfolgt über das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS). Hier stellen sich Fragen zur Übermittlung der Schnelltest-Ergebnisse durch Apotheken bzw. den Anwender, die zu erhöhten Bürokratieaufwendungen und Kosten, sowie zu Meldeverlusten führen können.

Wissenschaftliche Evidenz: Während der COVID-19 Pandemie wurde bundesweit u.a. in Apotheken die Möglichkeit geschaffen, ein niedrigschwelliges Test-Angebot im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung anzubieten. Durch die nationale Teststrategie wurde eine klare Indikationsstellung vorgenommen, die symptomatische Patienten an eine ärztliche Versorgung angebunden hat. Nach Ende der Pandemie besteht kein Anlass mehr, ein IVD Schnelltest-Angebot für hochinfektiöse Erreger aufrecht zu erhalten. Bereits während der Pandemie konnten zahlreiche wissenschaftliche Publikation die eingeschränkte diagnostische Nachweisempfindlichkeit von SARS-CoV-2 Schnelltesten zeigen [1]. Seit langer Zeit ist die mangelhafte Sensitivität und Spezifität von Antigen-Schnelltesten für Erreger wie Adenoviren, Influenzaviren und Rotaviren gut dokumentiert [2]. Da die genannten Erreger saisonal zirkulieren, ist eine sorgfältige ärztliche Indikationsstellung unabdingbar. Der positive Vorhersagewert (PPV) ist zu Zeiten einer geringen Erregerzirkulation sehr niedrig und kann bei Nicht-Beachtung zu gehäuft falsch-positiven Befunden und daraus entstehenden nicht-indizierten therapeutisch-klinischen Konsequenzen führen.

Arztvorbehalt: Die Nachweisverfahren von Adenovirus, Influenzavirus, Norovirus, RSV und Rotavirus müssen weiterhin unter Arztvorbehalt stehen. Aus den o. g. Gründen ist eine ärztliche Indikationsstellung zur Testung auch aus Gründen der Kosteneffektivität und der sich ergebenden medizinisch-therapeutischen Konsequenzen notwendig. Auch die Durchführung von Impfungen muss unter Arztvorbehalt bleiben. Zu den ärztlichen Impfleistungen gehören nicht nur die Impfung selbst, sondern auch die Impfanamnese inklusiv möglicher Kontraindikationen, der Ausschluss akuter Erkrankungen und die Aufklärung zur Impfung und möglicher Nebenwirkungen sowie der Meldung einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (§6 IfSG). Obwohl im ApoRG-Entwurf vorgesehen, existieren derzeit keine Strukturen, die den Erwerb einer entsprechenden Sachkenntnis ermöglichen oder diese Sachkenntnis überprüfen könnten.

Die Wirtschaftlichkeit dieser Maßnahme ist weitgehend unklar, da sich Nachtestungen bei unklaren Schnelltest-Ergebnissen sowie zum Ausschluss von falsch-positiven (bei niedrigem PPV) oder falsch-negativen (durch geringe Sensitivität) Ergebnissen ergeben können und die Maßnahme nie im Rahmen von Pilot-Versuchen evaluiert wurde. Deshalb sind unabsehbare Folgekosten (zusätzliche Arztbesuche, weitere differentialdiagnostische Abklärungen, Isolationsmaßnahmen, AU-Bescheinigungen) für die Solidargemeinschaft zu befürchten.

Für die Gemeinsame Diagnostikkommission der DVV/GfV und in Absprache mit INSTAND e.V. (Gesellschaft zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien e.V.)

PD Dr. Nadine Lübke und Prof. Dr. Marcus Panning, Düsseldorf und Freiburg am 27.06.2024

(Vorsitzende Gemeinsame Diagnostikkommission der DVV/GfV)

Literatur
1. Dinnes J, Sharma P, Berhane S, et al. Rapid, point-of-care antigen tests for diagnosis of SARS-CoV-2 infection. Cochrane Database Syst Rev. 2022;7(7):CD013705.
2. Gentilotti E, De Nardo P, Cremonini E, et al. Diagnostic accuracy of point-of-care tests in acute community-acquired lower respiratory tract infections. A systematic review and meta-analysis. Clin Microbiol Infect. 2022;28(1):13-22.