Stellungnahme der Gemeinsamen Diagnostikkommission der DVV und GfV zur geplanten Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄneu) und deren Auswirkungen auf die virologische Diagnostik

22/10/2024

Die geplante Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄneu) nach über 40 Jahren stellt eine bedeutende Änderung in der Struktur der medizinischen Abrechnung dar. Während die Stärkung der Fächer in der direkten Patientenversorgung begrüßenswert ist, bringt die Novellierung erhebliche negative Anpassungen zulasten der technischen Fächer mit sich. Insbesondere die signifikante Reduktion der Leistungsvergütung in diesen Bereichen wirft erhebliche Bedenken auf. Die fehlende Transparenz über die Verhandlungen, die engen Fristen und das nicht einheitliche Bild der Ärzteschaft, v. a. der technischen Fächer, stellen weitere erheblich Kritikpunkte da, die wir als virologische Fachgesellschaft teilen.

Unsere grundsätzlichen Bedenken umfassen folgende Punkte:

  1. Erhöhte Personal- und Sachkosten: In einem ohnehin von steigenden Personalkosten betroffenen Gesundheitssektor bedeutet die Reduktion der Erlöse in den technischen Fächern zusätzlichen finanziellen Druck. Diese Belastung wird sich negativ auf die Personalstruktur und die Qualität der Versorgung auswirken, insbesondere in Bereichen wie der Labordiagnostik, die auf hochqualifiziertes Personal angewiesen ist. Darüber hinaus sind einige der neuen Ziffern in keiner Weise kostendeckend. In den letzten Jahren kam es zu massiven Erhöhungen der Sachkosten von Seiten der Labordiagnostik-Hersteller, die nicht berücksichtigt wurden. Zusätzlich fallen auch auf Seiten der Labore die Energie- und allgemeinen Kostensteigerungen an.
  2. Zusätzliche Kosten durch die IVDR: Mit der Umsetzung der neuen In-vitro-Diagnostika-Verordnung (IVDR) wird der Wegfall von sog. In-house-Testverfahren (= laboratory developed tests (LDTs)) zu erheblichen zusätzlichen Kosten führen. Diese LDTs sind ein zentraler Bestandteil der Diagnostik, insbesondere in hochspezialisierten Laboratorien (z.B. diagnostische Laboratorien an Universitätskliniken, Konsiliarlaboratorien oder Nationalen Referenzzentren). Die Einschränkungen bei der Verwendung von LDTs gefährdet die Innovationskraft und die schnelle Entwicklung spezialisierter Diagnostik (auch im Hinblick auf eine pandemic prepardness) und erhöht Kosten durch Alternativ-Teste mit EU Zulassung. Eine Erlösreduktion bildet diese Entwicklung in keiner Weise ab.
  3. Spezialdiagnostik an Universitätskliniken: Universitätskliniken spielen eine zentrale Rolle bei der Durchführung von speziellen Untersuchungsverfahren, die u.a. für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) von großer Bedeutung sind, wie z.B. Tests auf Mpox, Masern und andere hochkontagiöse Erkrankungen. Auch bei immunsupprimierten Patienten, die an den universitären Maximalversorgern behandelt werden, spielen spezialisierte Verfahren eine wichtige Rolle. Diese Untersuchungen werden in Privatlaboren aufgrund der Seltenheit ihrer Anforderung häufig nicht angeboten. Eine unzureichende Finanzierung wird dazu führen, dass diese wichtigen Untersuchungsverfahren nicht mehr in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen, was die öffentliche Gesundheitsversorgung und universitäre Krankenversorgung erheblich schwächen wird.
  4. Reduktion der Diagnostik auf Hochdurchsatzanalysen: Um Kosten zu reduzieren, wird es zu einer verstärkten Fokussierung auf Hochdurchsatz-Analysen kommen. Diese Standardisierung geht jedoch mit dem Risiko einher, dass individualisierte und personalisierte sowie evidenzbasierte Diagnostik vernachlässigt wird. Dies verschlechtert die Versorgung hochvulnerabler Patientengruppen, wie immunsupprimierte Patient*innen in der Erwachsenen- als auch Kinder- und Jugendmedizin, die bevorzugt an universitären Zentren behandelt werden.
  5. Entwicklung und Innovation in der universitären Medizin: Universitätskliniken und Forschungsinstitute sind maßgeblich an der Entwicklung neuer diagnostischer Verfahren und Technologien beteiligt. Eine Reduktion der Vergütung in den technischen Fächern gefährdet die notwendigen finanziellen Ressourcen, um diese Innovationen voranzutreiben. Dies wird Deutschland im internationalen Vergleich in der medizinischen Forschung und Entwicklung deutlich zurückwerfen.
  6. Qualitätseinbußen und Versorgungsverschlechterung: Es besteht ein hohes Risiko, dass kostspielige Untersuchungsmethoden, die für eine präzise und qualitativ hochwertige Diagnostik notwendig sind, aufgrund fehlender finanzieller Rentabilität wegfallen. Dies wird zu einer deutlichen Verschlechterung der Versorgung führen, insbesondere bei komplexen oder seltenen Krankheitsbildern, die auf spezialisierte Tests angewiesen sind.
  7. Gefährdung der Notfalldiagnostik: Besonders besorgniserregend ist die potenzielle Gefährdung der Notfalldiagnostik. Es ist zu befürchten, dass diagnostische Verfahren, die an Wochenenden oder abends verfügbar sein müssen, aufgrund der Erlöseinbußen in ihrer Bereitstellung deutlich eingeschränkt werden. Dies stellt ein ernsthaftes Risiko für die Patientenversorgung dar.
  8. Verlagerung der Diagnostik in den ambulanten Sektor: Eine zunehmende Verlagerung der Diagnostik in den ambulanten Bereich wird mit einem Verlust an qualitativ hochwertiger Diagnostik einhergehen. Viele spezialisierte Tests erfordern eine technische Ausstattung und fachärztliche Expertise, die im ambulanten Sektor nicht in gleichem Maße vorhanden ist wie in spezialisierten Laboratorien. Dies führt zu einer deutlichen Verschlechterung der Patientenversorgung.

Fazit: Die Novellierung der GOÄ resultiert in erheblichen finanziellen Einschränkungen für die virologische Diagnostik und anderer spezialisierter technischer Verfahren. Diese Maßnahmen gefährden die Qualität der Patientenversorgung in Deutschland und werden insbesondere im Bereich der spezialisierten Diagnostik zu massiven Versorgungslücken führen. Eine strikte Überarbeitung des aktuell vorliegenden GOÄ-Entwurfes ist dringend erforderlich, um einen Schaden für die Patientenversorgung, aber auch für den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland abzuwenden.

Für die Gemeinsame Diagnostikkommission der DVV/GfV
PD Dr. Nadine Lübke und Prof. Dr. Marcus Panning, Düsseldorf und Freiburg am 01.10.2024
(Vorsitzende Gemeinsame Diagnostikkommission der DVV/GfV)