Gemeinsame Stellungnahme der GfV und DGHM zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft (WissZeitVG)

13/07/2023

Gemeinsame Stellungnahme der Gesellschaft für Virologie e.V. (GfV) und der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie e.V. (DGHM) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft (WissZeitVG)

 

Sehr geehrte Mitglieder, sehr geehrte Damen und Herren.

Mit diesem Schreiben nehmen wir gemeinsam Stellung zu dem angepassten Referentenentwurf des BMBF zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vom 05. Juni 2023. Dieser Entwurf sieht vor, die befristete Einstellung zur Qualifikation nach der Promotion auf vier Jahre zu begrenzen. Eine Verlängerung um weitere zwei Jahre ist möglich, wenn die sechs Jahre der Promotionsphase noch nicht ausgeschöpft wurden und verbindliche Zielvereinbarungen für eine Dauerstelle vorliegen. Die Laufzeit von Drittmitteln soll erst dann einen zulässigen Befristungsgrund darstellen, wenn die qualifikationsbasierte Befristungszeit bereits abgelaufen ist.

Grundsätzlich unterstützen wir das Anliegen, verlässliche und chancenreiche Karrierewege für Naturwissenschaftler*innen und Mediziner*innen in der Forschung an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu schaffen. Es ist wichtig, dass Wissenschaftler*innen in frühen Karrierephasen gute Beschäftigungs- und Karrierebedingungen haben, um ihr volles Potenzial entfalten zu können. Attraktive Arbeitsbedingungen sind dabei auch entscheidend für den Erhalt und Ausbau der internationalen Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit Deutschlands.

Allerdings sehen wir die Verkürzung der Qualifikationsphase (Post-Doc-Phase) auf vier Jahre als äußerst problematisch an, insbesondere vor dem Hintergrund der engen Bedingungen für Vertragsverlängerungen um maximal zwei weitere Jahre. Die Komplexität der wissenschaftlichen Arbeit, insbesondere in den Natur- und Lebenswissenschaften, erfordert oft umfangreiche Datenerhebung und aufwändige Analysen, die sich schwer in enge Zeitskalen einfügen lassen und oft langwierige Genehmigungsverfahren (z.B. bezüglich Gentechnik und Tierversuchen) erfordern. Zudem erfolgt die Entwicklung eines eigenständigen Forschungsprofils und die Einwerbung eigener Drittmittel erst in der Phase nach der Promotion und ist in den meisten Fällen auch nach sechs Jahren noch nicht abgeschlossen.

Der Aufbau eines eigenständigen Forschungsprofils und einer eigenen Forschungslinie als Voraussetzung für zukünftige Berufungsverfahren, ist in diesem Zeitraum kaum zu realisieren. Dadurch erhöht sich das Risiko, dass vielversprechende Nachwuchswissenschaftler*innen frühzeitig die akademische Laufbahn verlassen müssen.

Darüber hinaus ist es wichtig anzumerken, dass die eigenständige Entwicklung der wissenschaftlichen Karriere aus eigenen Drittmitteln weiterhin ermöglicht werden sollte.  Da eingeworbene Drittmittel teilweise die eigene wissenschaftlichen Stelle oder Teile der (jungen) Arbeitsgruppe finanzieren und es den Forscher*innen somit ermöglichen, ihre eigenen Forschungslinien zu etablieren und innovative Ideen voranzutreiben. Daher empfehlen wir, zunächst Befristungen aus Drittmitteln zu gestatten, die dann durch die im Gesetzentwurf genannten Fristen verlängert werden können.

Der Übergang vom Mentor*in-betreuten Promovierenden zu einer/einem Promotionen-betreuenden bzw. mitbetreuenden Wissenschaftler*in ist entscheidend für die Entwicklung eines eigenen Wissenschaftsprofils. Die Ungleichheit vor und nach der Promotion erschwert es Nachwuchswissenschaftler*innen, qualifizierte Mitarbeiter*innen mit Promotionswunsch zu finden, da diese befürchten, dass ihre Betreuer*innen nicht die gesamte Promotionsphase zur Verfügung stehen könnten. Das Durchschnittsalter der Habilitationen liegt in Deutschland bei über 40 Jahren, während das Durchschnittsalter der Promotion bei etwa 30 Jahren liegt. Die Entscheidung für eine unbefristete wissenschaftliche Karriere müsste nach dem vorliegenden Gesetzesentwurf bereits Jahre vor dem Nachweis der Befähigung zu eigenständiger Forschung und Lehre getroffen werden.

Wir befürchten, dass die vorgeschlagene Anpassung des WissZeitVG die Attraktivität des Forschungsstandorts Deutschland für Postdoktorand*innen mindert und zu einer Abwanderung ins Ausland und in die Industrie führt. Eine grundsätzliche Erhöhung der Zahl von unbefristeten Stellen in der universitären Forschung ist sicherlich zu begrüßen, da an diesen Einrichtungen auch Ausbildungsstellen nicht entfristet werden dürfen. Neben diesen müssen auch entfristete Stellen geschaffen werden. Dies erfordert jedoch zusätzliche finanzielle Mittel und sollte den Wettbewerb nicht negativ beeinflussen.

Auch fehlt uns in dem vorgelegten Entwurf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, da die vorgeschlagenen Änderungen die Familienplanung von Nachwuchsforscher*innen einschränken. Wir empfehlen längere, flexiblere, aber zeitlich begrenzte Befristungszeiträume, um sowohl die notwendigen Qualifikationen für eine wissenschaftliche Laufbahn zu erlangen als auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen.

Weiterhin stellt die Aufhebung der Sonderrolle für Ärzt*innen in Weiterbildung eine erhebliche Erschwernis dar. Nach dem Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung (ÄArbVtrG) wäre zwar eine Beschäftigung zum Zweck des Erwerbs der Facharztqualifikation möglich, aber nur unter engen Voraussetzungen und ohne Kopplung an Forschung und Lehre. Dies steht der Integration von Forschung, Lehre und Krankenversorgung und entsprechenden Mischfinanzierungen entgegen. Auch die mühsam etablierten Clinician Scientist Programme wären damit nicht fortführbar. Für eine effiziente Entwicklung der Medizinischen Forschung bleibt es notwendig, die Zeit der Facharztqualifikation bei den Fristen des WissZeitVG weiterhin zu berücksichtigen.

Darüber hinaus wäre es äußerst sinnvoll, diese Berücksichtigung auch denjenigen Naturwissenschaftler*innen zukommen zu lassen, die sich in der Weiterbildung zu Fachmikrobiolog*innen, Fachvirolog*innen, Klinischen Chemiker*innen etc. befinden. Beide ärztlichen und natur-wissenschaftlichen Berufsgruppen sind notwendig, die klinische Forschung in Deutschland voranzutreiben, ganz besonders in Zeiten des Fachkräftemangels.

Es ist wichtig, Karrierewege in der Forschung verlässlicher zu machen und klare Zielvereinbarungen einzuführen, an die die jeweils folgenden Karriereschritte geknüpft werden müssen. Ein einheitliches und starres Zeitschema für Befristungszeiten kann jedoch keine differenzierte Betrachtung von Kernaufgaben und wissenschaftlicher Innovation ermöglichen.

Die geplante Änderung des WissZeitVG wird aus unserer Sicht nicht zu mehr Dauerstellen führen, die an den Universitätskliniken zurzeit in nur sehr begrenzter Anzahl zur Verfügung stehen. Im Gegenteil, es wird dazu führen, dass wir in der Medizin und den Naturwissenschaften zukünftig stetig weniger exzellente Wissenschaftler*innen haben und im internationalen Wettbewerb zurückfallen werden. Der Personalrückgang wird auch in der Lehre zu Problemen führen, insbesondere bei dem personalaufwändigen Kleingruppenunterricht.

Wir möchten betonen, dass die Förderung von wissenschaftlichem Nachwuchs und die Schaffung von langfristigen Karrieremöglichkeiten von entscheidender Bedeutung sind. Um dies zu erreichen, sollten jedoch realistische und flexible Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den individuellen Bedürfnissen und Anforderungen der verschiedenen Disziplinen gerecht werden. Eine pauschale Begrenzung der Qualifikationsphase auf vier Jahre erscheint uns in diesem Zusammenhang nicht angemessen. Hier steht der attraktiven Gestaltung des Tätigkeitsbereichs die Verkürzung der Qualifikationsphase und die Aufhebung der Berücksichtigung der medizinischen Weiterbildung fundamental entgegen und werden den Mangel an Fachpersonal erheblich verstärken. Daher bedarf der Gesetzentwurf der grundsätzlichen Bearbeitung.

Wir schlagen vor, dass im weiteren Diskussionsprozess verschiedene Akteure aus Wissenschaft und Politik eingebunden werden, um eine ausgewogene und praxisnahe Lösung zu finden. Es ist wichtig, die Perspektiven der betroffenen Wissenschaftler*innen, Forschungseinrichtungen und Förderorganisationen zu berücksichtigen, um eine nachhaltige und zukunftsfähige Regelung zu erarbeiten.

 

Mit freundlichen Grüßen

Die Gesellschaft für Virologie e.V. (GfV) und die Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie e.V. (DGHM) in enger Abstimmung mit der jungen GfV und der jungen DGHM.

 

Das PDF zur Stellungnahme finden Sie hier.