Gemeinsame Stellungnahme zur Wissenschaftsfreiheit
04/06/2025
Gemeinsame Stellungnahme zur Wissenschaftsfreiheit
Die Gesellschaft für Virologie (GfV) e.V. und die unterzeichnenden Fachgesellschaften betonen die zentrale Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit als Fundament für Innovation, Fortschritt und die Bewältigung globaler Gesundheitskrisen. Diese Freiheit sehen wir zunehmend bedroht und fordern verstärkte Maßnahmen zu ihrem Schutz.
1. Wissenschaftsfreiheit als Grundpfeiler der Demokratie
Die Freiheit von Forschung und Lehre ist ein unverzichtbares Grundrecht, das in Deutschland, Österreich und der Schweiz durch die jeweilige Verfassung geschützt wird und für evidenzbasierte Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von essentieller Bedeutung ist. Wissenschaftsfreiheit ermöglicht unabhängige Forschung, die notwendig ist, um neue Technologien und fundierte Lösungen für globale Herausforderungen wie Pandemien oder den Klimawandel zu entwickeln. Der Academic Freedom Index (AFI) 2025 (Kinzelbach et al. 2025) zeigt jedoch, dass die Wissenschaftsfreiheit in vielen Ländern, darunter auch Deutschland und Österreich, seit 2014 signifikant zurückgegangen ist. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, diese Freiheit aktiv zu verteidigen.
2. Gefährdungen durch Antipluralismus und politische Einflussnahme
Laut des Academic Freedom Index (AFI) 2025 stellen antipluralistische Parteien weltweit eine zentrale Bedrohung für die Wissenschaftsfreiheit dar (Kinzelbach et al. 2025). Auch in Deutschland sind Tendenzen zu beobachten, den wissenschaftlichen Diskurs zu politisieren und zu delegitimieren – eine Entwicklung, die wir mit Sorge betrachten. Politische Einflussnahme und selektive Interpretationen von Forschungsergebnissen gefährden die Unabhängigkeit der Wissenschaft. Zum Beispiel kommt es aktuell nach dem Ende der Corona-Pandemie zu einer zunehmenden Verzerrung wissenschaftlicher Fakten und zeitlich-inhaltlicher Bezüge in der öffentlichen Debatte und durch die Politik. Die Vernachlässigung wissenschaftlicher Argumentationsstandards und der Einfluss politisch motivierter Meinungsäußerungen haben das Vertrauen der Bevölkerung in wissenschaftliche Entscheidungsgrundlagen beeinträchtigt (GfV 2025a; ÖAW 2023).
3. Verantwortung in sicherheitsrelevanter Forschung
Die Virologie bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Forschungsfreiheit und ethischer Verantwortung, insbesondere in der sicherheitsrelevanten Forschung und der virologischen „Gain-of-Function“ (GoF)-Forschung. Die GfV ist überzeugt, dass virologische GoF-Forschung klar reguliert und streng überwacht werden muss, weswegen sie sich intensiv und transparent mit den Risiken dieser Forschung auseinandersetzt. Die GfV hat ein Positionspapier veröffentlich, das sowohl den gesellschaftlichen Nutzen als auch die Risiken der GoF-Forschung diskutiert und die umfassenden Regulierungsmaßnahmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz beschreibt (GfV 2025b).
4. Internationale Zusammenarbeit und Kooperation
Die unterzeichnenden Fachgesellschaften unterstreichen die entscheidende Bedeutung internationaler Kooperationen und einer effizienten Vernetzung von Forschenden weltweit für die Entwicklung neuer Diagnostika, Therapien und Impfstoffe zur Bekämpfung grenzüberschreitender Infektionsgefahren. Eine entscheidende Schlüsselrolle als zentrale Instanz der internationalen Gesundheitskoordination nimmt dabei die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein, die durch die Bündelung von Wissen und Ressourcen globale Standards und Rahmenbedingungen für evidenzbasierte medizinische Forschung schafft, wobei sie auf die Mitwirkung aller Mitgliedsstaaten angewiesen ist. Einschränkungen des internationalen Austauschs – etwa durch politische Spannungen – behindern diesen Fortschritt erheblich.
5. Appell
Die unterzeichnenden Fachgesellschaften rufen dazu auf, die Wissenschaftsfreiheit aktiv zu verteidigen, stabile Rahmenbedingungen zu schaffen und sicherzustellen, dass Forschung unabhängig von ideologischen oder rein wirtschaftlichen Interessen erfolgen kann. Dazu sind solide finanzielle Strukturen für unabhängige Forschung und Lehre sowie die Förderung internationaler Kooperationen erforderlich. Zudem müssen Forschende, die sich öffentlich zu Forschungsergebnissen oder Wissenschaftstheorien äußern, vor persönlichen Angriffen geschützt werden, um die Freiheit des Wissenschaftssystems nachhaltig zu sichern. Ergebnisse aus staatlich geförderter Forschung müssen öffentlich zugänglich gemacht werden. Sie dürfen weder von Dritten zensiert noch zurückgehalten werden.
Unterstützende Fachgesellschaften (in alphabetischer Reihenfolge)
Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie e.V. (DGHM)
Präsident: Prof. Dr. Martin Aepfelbacher, Hamburg
Kontakt: office@dghm.de
Deutsche Gesellschaft für Infektiologie e.V. (DGI)
Vorsitzende: Prof. Dr. Maria Vehreschild, Frankfurt am Main
Kontakt: trommel@dgi-net.de
Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit e.V. (DTG)
Vorsitzender: Dr. Dr. Carsten Köhler, Tübingen
Kontakt: dtg@bnitm.de
Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung von Viruskrankheiten e.V. (DVV)
Präsident: Prof. Dr. Helmut Fickenscher, Kiel
Kontakt: fickenscher@infmed.uni-kiel.de
Verband Deutscher Infektionsforscherinnen – Infect-Net
Vorsitzende: Prof. Dr. Gabriele Pradel, Aachen
Kontakt: info@infectnet.org
Gesellschaft für Virologie e.V. (GfV)
Präsident: Prof. Dr. Ulf Dittmer, Essen
Kontakt: geschaeftsstelle@g-f-v.org
PDF-Version der Stellungnahme
Referenzen
Katrin Kinzelbach, Staffan I. Lindberg, Lars Lott, Angelo Vito Panaro. 2025. Academic Freedom Index 2025 Update. FAU Erlangen-Nürnberg and V-Dem Institute. doi:10.25593/open-fau-1637, https://academic-freedom-index.net/research/Academic_Freedom_Index_Update_2025.pdf; Abgerufen am 02.04.2025
Gesellschaft für Virologie. 2025. Fünf Jahre COVID-19: Anmerkungen der Gesellschaft für Virologie zur Aufarbeitung der COVID-19 Pandemie in Deutschland, 27.03.2025; Redaktionell überarbeitete Fassung vom 20.05.2025 (GfV 2025a): https://g-f-v.org/fuenf-jahre-covid-19-anmerkungen-der-gesellschaft-fuer-virologie-zur-aufarbeitung-der-covid-19-pandemie-in-deutschland-redaktionell-ueberarbeitete-fassung/; Abgerufen am 20.05.2025
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Herausg. Alexander Bogner. 2023. Nach Corona. Reflexionen für zukünftige Krisen, Ergebnisse aus dem Corona-Aufarbeitungsprozess. https://doi.org/10.1553/978OEAW95696; Abgerufen am 28.04.2025
Gesellschaft für Virologie. 2025. Sicherheitsrelevante Forschung in der Virologie, Positionspapier der Gesellschaft für Virologie e.V., 13.03.2025 (GfV 2025b): https://g-f-v.org/sicherheitsrelevante-forschung-in-der-virologie/; Abgerufen am 02.04.2025